Traumalösung
“Trauma ist die am meisten vermiedene, ignorierte, verleugnete, missverstandene und unbehandelte Ursache menschlichen Leidens.”
Traumatherapie
Traumatherapie ist ein Feld innerhalb der Psychotherapie, welches sich speziell dem Bereich der durch Traumata verursachten Symptome in Psyche und Körper, den sogenannten Traumafolgestörungen, widmet.
Niemand, kein Therapeut, kein Arzt, kann eine traumatische Erfahrung „behandeln“. Denn, was geschehen ist, ist geschehen, man kann es nicht ungeschehen machen.
An den Auswirkungen jedoch, die ein Trauma in Körper, Geist und Seele hinterlässt, können wir etwas ändern.
Das Herausfordernde auf dem Weg zur Genesung ist, uns Körper und Geist wieder zu eigen zu machen – also uns selbst. Erst dann können wir uns in unseren Gedanken und Gefühlen wieder frei fühlen, ohne von Emotionen, wie starker Wut, Angst oder Scham überwältigt zu werden.
„Nur“ über ein traumatisches Erlebnis zu reden ist, meiner Erfahrung nach, in den meisten Fällen wenig zielführend. Denn ein Trauma ist wesentlich mehr als nur eine Geschichte über etwas, das in der Vergangenheit stattgefunden hat.
Die Gefühle und körperlichen Empfindungen, die ein Mensch während eines Traumas erlebt hat, treten bei ihm später nicht als Erinnerungen an das Erlebte auf, sondern als störende körperliche Reaktionen in seinem gegenwärtigen Leben.
Um das Leben wieder in die eigenen Hände nehmen zu können (Self-Empowerment), müssen traumatisierte Menschen eine Möglichkeit finden, mit den Gefühl fertig zu werden, dass sie von Empfindungen und Emotionen aus der Vergangenheit, erneut überwältigt werden könnten.
Das Zentrale bei allen Bemühungen, posttraumatische Belastungszustände aufzulösen, ist die Wiederherstellung der Balance zwischen rationalem und emotionalem Gehirn. Denn nur so bekommen Traumatisierte das Gefühl zurück, dass sie ihre Reaktionen und ganz generell ihr Leben beeinflussen können.
Unser Körper und unser Nervensystem verfügen von Natur aus über viele Möglichkeiten einen Balancezustand aufrechtzuerhalten. Diese biologischen Tatsachen macht sich der Traumalösungsansatz von Somatic Experiencing (SE)* zunutze.
Auf diese Weise kann blockierte Lebensenergie wieder behutsam gelöst werden.
Ziel dieser körperorientierten Traumatherapie ist somit, die natürliche Plastizität des Gehirns zu nutzen, um Traumatisierten zu helfen, sich wieder völlig lebendig und in der Gegenwart verwurzelt zu fühlen und ein normales, von belastenden Empfindungen weitgehend freies Leben zu führen.
Für uns Menschen ist dabei die Hoffnung besonders wichtig. Deshalb geht es bei der Arbeit an Traumata nicht nur darum festzustellen, was zerbrochen ist, sondern ebenso sehr darum, sich daran zu erinnern, wie man es geschafft hat, das Trauma zu überstehen.
Aus Sicht von Somatic Experiencing (SE)* kann jedes Ereignis zum Trauma werden, wenn es uns überwältigt und wir die für Kampf oder Flucht mobilisierte Überlebensenergie nicht erfolgreich einsetzen oder entladen können. Es ist ein „zu viel, zu schnell, zu plötzlich“.
Unsere Reaktionen auf Bedrohungen sind wie bei allen Säugetieren instinktiv. Es gibt drei angeborene Überlebensstrategien: Flucht, Kampf und Erstarrung (Immobilität). Ist es uns in einer bedrohlichen Situation nicht möglich zu kämpfen oder zu fliehen, bleibt nur noch die Erstarrung (Todstellreflex). Bleiben wir zu lange in diesem Zustand, kann sich die eigens für die bedrohliche Situation bereitgestellte Energie nicht wieder entladen und die hohe Aktivierung bleibt im Autonomen Nervensystem bestehen. Und gerade diese gebundene Energie verursacht die Traumafolgestörungen.
Es können sich auch nach Jahren stress- oder posttraumatische Belastungsreaktionen mit folgenden Symptomen einstellen:
- Übererregbarkeit, Angst, Gefühle der Hilflosigkeit, Panik, Reizbarkeit, Wut
- Existentielle Verzweiflung, Depression, Verleugnung
- Abspaltung, Taubheitsempfindungen, Selbstentfremdung
- Scham, Schuldgefühle, mangelndes Selbstwertgefühl
- Sucht (Alkohol, Drogen, Medikamente)
- Misstrauen, Unfähigkeit vertrauensvolle, stabile Beziehungen mit anderen Menschen einzugehen
- Selbstverletzendes Verhalten, sich anders, sich nicht zugehörig fühlen
- Hyperaktivität, Hypersensibilität, Schlafstörungen, Verdauungsprobleme, Kraftlosigkeit
- Chronische Schmerzen, Fibromyalgie, Migräne, Chronisches Erschöpfungssyndrom
Trauma ist nicht zwangsläufig am Ereignis selbst zu erkennen, sondern am „Sein“ eines traumatisierten Menschen.
Denn bei der Entwicklung eines Traumas spielt immer auch der Zustand des Betroffenen, z.B. dessen Ressourcen als auch die Regulationsfähigkeit seines Nervensystems und die vorherrschenden Lebensumstände eine Rolle. Deshalb kann ein Ereignis für die eine Person traumatisch sein und für die andere nicht.
Mit SE können wir entdecken, wie unser Körper auf das Erleben von Sicherheit reagiert, die letztendlich zu Selbstregulation, einem natürlichen Rhythmus von Anspannung und Entspannung, führt. Dadurch wird es möglich, uns bei Stress immer leichter in unser inneres Gleichgewicht zu bringen.
SE ist ein psychophysiologischer Ansatz und eignet sich zur Lösung von Schocktrauma (Posttraumatische Belastungsstörung) und zur Transformation von Bindungs- und Entwicklungstrauma (komplexe posttraumatische Belastungsstörung), aber auch zur Förderung des Wohlbefindens bei anderen Stressbelastungen.
Durch sanftes, kleinschrittiges Anleiten wird direkt mit dem Körpergedächtnis und dem Autonomen Nervensystem gearbeitet.
Der menschliche Organismus verfügt über die Fähigkeit, im Körper gespeicherten traumatischen Stress wieder zu entladen. Diese biologische Tatsache nutzt der körperorientierte Ansatz von SE.
Alles was wir dafür brauchen, ist bereits in uns vorhanden. Damit der Körper eine traumatische Erfahrung abschließen und die blockierte Energie entladen kann, ist kleinschrittige, dosierte Arbeit mit einem behutsamen Hinführen zu instinktiven Körperempfindungen und dem vorangehenden Aufbau von Ressourcen essentiell wichtig. Nur so kann eine Katharsis und eine dadurch möglicherweise ausgelöste Retraumatisierung vermieden werden.
Im Vordergrund steht auch hier die vertrauensvolle Beziehung zwischen Klient und Therapeut, die eine Integration des Erlebten ermöglicht.
Des Weiteren stehen in einer SE-Sitzung Ressourcen und innere Kraftquellen im Fokus. Erst im Kontakt mit diesen Kräften kann unser Nervensystem beginnen, sich neu zu regulieren und angehaltene chronische Anspannung loszulassen. Dadurch ist es möglich körperliche und psychische Traumafolgesymptome aufzulösen.
Das Trauma wird dadurch nicht ungeschehen gemacht, sondern aus einer Position der Sicherheit und Stärke neu verhandelt und integriert. Dann können wir eines Tages von unseren Erfahrungen berichten und sie als einen Teil von uns begreifen, ohne davon emotional oder körperlich überwältigt zu werden.
Mit SE können wir entdecken, wie unser Körper auf das Erleben von Sicherheit reagiert, die letztendlich zu Selbstregulation, einem natürlichen Rhythmus von Anspannung und Entspannung, führen kann. Dadurch wird es uns möglich, uns bei Stress immer leichter in unser inneres Gleichgewicht zu bringen.
Gegenüber z. B. der klassischen Gesprächstherapie hat Somatic Experiencing folgende Besonderheiten:
In einer SE-Sitzung kann man ohne Inhalt oder ohne Erinnerung arbeiten, wenn das Ereignis zu belastend ist. Im Mittelpunkt der Behandlung steht weniger das Ereignis selbst, als vielmehr die Spuren, die es in uns hinterlassen hat und das, was wir brauchen, um in unsere innere Balance zurückzukehren.
Was mit SE möglich ist:
- ein vertieftes Wissen über wertvollen Ressourcen erlangen
- den inneren Stresslevel senken
- ein feines Gespür für Bedürfnisse und Grenzen entwickeln
- die Kraft entwickeln, Grenzen zu setzen
- in Körper, Geist und Seele begreifen, dass das Trauma vorbei ist
- Vertrauen in unsere Fähigkeiten gewinnen
Statt von der Vergangenheit bestimmt zu sein, kann das „Hier und Jetzt“ mit allen Sinnen erlebbar werden.
- die Erfahrung von Sicherheit im Körper
- eine höhere Toleranzschwelle für Stress
- Wahlmöglichkeiten anstelle von automatisierten Mustern
- Eine tiefere Verbindung zu sich selbst und zu anderen
- Eine bessere Körperwahrnehmung
- Resilienz und Selbstregulation
Frühkindliche Traumata haben erhebliche Folgen für die körperliche, geistige, emotionale und soziale Gesundheit der Betroffenen. Die Symptome sind komplex und ihre Ursachen sind nicht leicht zu erkennen, da sie doch häufig im präverbalen Stadium liegen. Eine Behandlung sollte deshalb sowohl körperlich als auch psychisch ausgerichtet sein.
Vielen Betroffenen hat es in ihrer Kindheit an Sicherheit und Geborgenheit gefehlt. Beides ist jedoch die Voraussetzung für die Entwicklung von Selbstregulation und die Basis von Resilienz, die es zu fördern gilt.
Deshalb sind Traumata, die im Rahmen einer Beziehung entstanden sind, meist deutlich schwerer zu behandeln, als Traumata infolge von Verkehrsunfällen oder Naturkatastrophen.
Wen jemand, bei dem wir natürlicherweise Schutz und Geborgenheit suchen würden, uns verängstigt, zurückweist oder vernachlässigt, lernen wir, uns zu verschließen und unsere Gefühle zu ignorieren.
Traumatisierte Menschen genesen im Kontext von Beziehungen. Diese Beziehungen sollten körperliche und emotionale Sicherheit vermitteln, und auch die Sicherheit davor, sich beschämt, gerügt oder verurteilt zu fühlen. Dadurch fördern sie den Mut, das Real Geschehene zu tolerieren, sich damit auseinander zu setzen und es zu verarbeiten. So kann die therapeutische Beziehung als Modell und Lernfeld für vertrauensvolle und stabile Beziehungen gesehen werden.
Regulation bedeutet in diesem Zusammenhang, dass wir unseren körperlichen und emotionalen Zustand steuern können. Und, dass wir uns auch bei stärkeren Gefühlen wie Angst, Panik, Wut oder Frustration selbst wieder beruhigen können. Wenn wir geboren werden ist unsere Fähigkeit zur Regulation kaum vorhanden. Wir erlernen dies erst über die Co-Regulation unserer erwachsenen Bezugspersonen, indem diese sich auf unsere Bedürfnisse einstimmen und für unsere Beruhigung und Sicherheit sorgen.
Die Bezugsperson übernimmt die emotionale Regulation zunächst stellvertretend für das Kind. Auf diese Weise entsteht die Grundlage für die neurophysiologische Entwicklung des Kindes, die es ermöglicht, dass es sich später selbst beruhigen und im Kontakt mit anderen Menschen seine Gefühle steuern kann. Es erfolgt ein allmählicher Übergang von äußerer Co-Regulation zu innerer Selbstregulation. Dieser Prozess wird auch in der Therapie von dem Therapeuten und Klienten zunächst übernommen.
Das Erlernen von Selbstregulation bestimmt auch, wie wir die Reize unserer Umgebung verarbeiten, z.B. den Unterschied zu spüren, wann unsere Aufregung mit Freude oder wann sie mit Gefahr zu tun hat. Wenn das soziale Umfeld damals keine ausreichende Sicherheit, Orientierung und Beruhigung vermitteln konnte, fällt es uns heute schwer, zwischen Gefahr und Sicherheit zu unterscheiden. Es kann sein, dass wir neue Erfahrungen erst einmal als potentiell gefährlich erleben, obwohl keine reale Gefahr besteht.
Je mehr wir uns selbst regulieren können, desto resilienter können wir auf die Herausforderungen des Lebens reagieren, ohne davon überwältigt zu werden.
Von einem Trauma können Menschen nur genesen, wenn es gelingt, Körper, Geist und Gehirn davon zu überzeugen, dass keine Gefahr droht, wenn sie loslassen (Immobilität). Dies setzt voraus, dass wir uns auf innerkörperlicher Ebene sicher fühlen und es uns gestatten, dieses Gefühl der Sicherheit mit Erinnerungen an früher erlebte Zustände der Hilflosigkeit zu verbinden.
Zu lernen, ruhig zu atmen und sogar während einer Konfrontation mit schmerzhaften und schrecklichen Erinnerungen einen Zustand relativer körperlicher Entspannung aufrechtzuerhalten, ist für die Traumalösung unverzichtbar. Wenn es uns gelingt in diesem Zustand bewusst ein Paar mal langsam und tief zu atmen, lernen wir die Wirkung der parasympathischen Bremse auf Erregungszustände kennen.
Heilung beginnt damit, dass Menschen einen sicheren Raum bekommen, um neugierig ihre Person und ihr Leben erforschen zu können.
Somatic Experiencing beschäftigt sich in erster Linie mit dem Potenzial eines Menschen, nicht so sehr mit dem Problem an sich. Dadurch stehen in einer SE-Sitzung die Lösungsmöglichkeiten eines Problems, die bereits im Klienten vorhanden aber noch nicht bewusst sind, stärker im Fokus.
Der Begriff Transgenerationale Traumatisierung ist in Deutschland durch diverse Bücher über die Kriegskinder/Kriegsenkel-Generation weithin bekannt geworden. Der Name beschreibt bereits, dass es sich um Traumata handelt, die von der direkt betroffenen Generation auf nachfolgenden Generationen übertragen werden.
Zu einer Traumatisierung der nachfolgenden Generationen kommt es, wenn die Eltern und Großeltern stark traumatisiert wurden. Das kann durch ganz persönliche Schrecken und Katastrophen geschehen, wie durch frühe Tode nahestehender Menschen.
Auch wenn es heute in den Familien nicht mehr so präsent ist, so besteht die Traumatisierung häufig durch die Folgen der beiden Weltkriege und des Holocaust. In diesen Fällen kann man von einer kollektiven Traumatisierung ausgehen, die sich doch sehr individuell zeigen kann und stark von der Resilienz der jeweiligen Person abhängt.
Meiner Meinung nach, trägt jeder von uns auch ein unverwechselbares Potenzial in sich, welches an die Kinder und Kindeskinder weitervererbt wird.
Die Aufarbeitung und Lösung eines transgenerationalen Traumas bewirken oft, dass wir wieder Zugang zu unseren Wurzeln bekommen. Somit können uns die Gaben unserer Ahnen zufließen.
- Vom Trauma befreien, Peter A. Levine
- Trauma-Heilung. Das Erwachen des Tigers, Peter A. Levine
- Sprache ohne Worte, Peter A. Levine
- Verwundete Kinderseelen heilen, Peter A. Levine
- Bindung, Regulation und Resilienz, Kathy L. Kain
- Verkörperter Schrecken, Bessel van der Kolk
- Die Narben der Gewalt, Judith L. Herman
- Stark wie ein Phönix, Michaela Haas
- Wenn der Körper nein sagt, Gabor Mate
- Die Polyvagaltheorie, Traumabehandlung, soziales Engagement und Bindung, Stephen Porges
- Der Selbstheilungsnerv, Stanley Rosenberg
- Eine Reise von 1000 Meilen…, Luise Reddemann
- Das Neuroaffektive Bilderbuch, Marianne Bentzen